MyCouchbox – Ein Interview mit Co-Founder Clemens Walter
Wie oft habe ich schon den Satz gehört, dass man ein Unternehmen ohne einen Kredit von mindestens 25.000€ nicht gründen kann? Ich weiß es nicht, aber es ist nicht selten gewesen. Dabei gibt es doch genügend Beweise dafür, dass es auch ohne ein hohes Startkapital gehen kann. MyCouchbox ist ein Beispiel dafür.
Bei “anders unternehmen” geht es viel um das “Wie” und nicht so sehr um das “Was”. Durch mein großes Interesse an Innovation und Entrepreneurship beobachte ich ständig, welche Unternehmen neu gegründet werden und interessiere mich besonders dafür, welche Faktoren für einen erfolgreichen Start und ein erfolgreiches Weiterbestehen mit Wachstum wichtig sind. Mein Blog “anders unternehmen” gibt mir eine gute Basis, direkt bei Firmen anzufragen und ihnen meine Fragen zu stellen. Ich kann hierbei meinen Wissensdurst stillen, interessante Firmen durch Publicity unterstützen und deren Erfahrungen und Ideen an neue Gründer weitergeben.
Auf der Crowdinvest Plattform Companisto fiel mir die MyCouchbox der Couch Media GmbH schnell in den Blick. Die Gründer sprachen in ihrem Pitch-Video viele Fragen an, die ich mir selbst als Gründer immer wieder stelle und die bei vielen anderen Unternehmen unbeantwortet bleiben und zeigten, dass nicht nur das oft wiederholte Mantra “Identifiziere ein Problem und biete dann eine Lösung an” zu einem Erfolg führen kann.
Vor allem beeindruckte mich eines: MyCouchbox hat sich bisher komplett aus Eigenmittel finanziert, ist seit dem ersten Monat profitabel und hat seinen Umsatz von 17.844 € im Januar 2015 auf 155.710 € im Juli 2015 gesteigert – bei einem Gesamtumsatz von 112.336 € im Jahr 2014! Wie kommt es zu einem so schnellen Wachstum? Welche Faktoren sind dafür wichtig? Wie geht ein Team damit um? Diese Fragen und noch viele mehr interessierten mich! Im Gespräch mit Clemens Walter, neben Sarah Haide der zweite Mit-Gründer von MyCouchbox, bekam ich Antworten.
Aber noch ganz kurz: was ist die MyCouchbox eigentlich genau?
Die MyCouchbox ist eine Überraschungs-Snackbox, die wahlweise monatlich oder einmalig Süßwaren und Snacks verschickt. Der Clou dabei: die Hersteller stellen MyCouchbox ihre Produkte kostenfrei zur Verfügung, um den Markt zu testen oder Produkte bekannter machen zu können. Durch diese Kostenersparnis ist die Box sehr günstig (9,99 € im monatlichen Abo, bei einem Warenwert von mindestens 15 € pro Box). Durch diese freche Idee hat sich das Unternehmen schnell einen Vorteil gegenüber anderen Lieferboxen geschaffen.
Von einer Idee zum Geschäftsmodell – Fake it ‘til you make it
Die Idee für die Box diskutierten Clemens Walter und Sarah Haide, die beiden Gründer von MyCouchbox, einige Zeit. Beide hatten zuvor schon ein anderes Unternehmen gegründet, welches zwar aus verschiedenen Gründen nicht weiter verfolgt wurde, die beiden jedoch als Team umso mehr zusammenschweißte. Beide kannten sich mit kaufmännischen Dingen aus, Sarah hat eine kaufmännische Ausbildung absolviert und Clemens konnte sein Wissen aus dem Studium der Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften einbringen. Die Mischung aus Erfahrung mit Vertrieb durch Studium, Ausbildung und der Arbeit als Angestellte, in Kombination mit den Lean-Startup Methoden von Eric Ries, brachte die beiden dazu, ihre Idee frech und forsch anzugehen.
An einem Punkt an dem viele Menschen stehen bleiben und befürchten, zu klein und uninteressant zu sein, trauten sich die beiden weiterzugehen. Ein erster Schritt war der Kontakt mit den Herstellern. Dafür suchten sie sich eine frei zugängliche Datenbank mit Herstellern aus der Süßwarenindustrie, sammelten möglichst viele Daten über Ansprechpartner und Entscheider und riefen bei diesen an – noch aus der heimischen Küche. Ein Büro, eine Webseite oder ein Logo gab es damals noch nicht, einzig die Idee stand fest. Das Feedback der Hersteller und die Kontakte dokumentierten sie akribisch.
“Hier ist der Clemens von MyCouchbox, wer ist in ihrem Unternehmen der Ansprechpartner für das Thema Marketing?”
Hier zeigten sich die Talente der beiden, denn in den wenigsten Unternehmen erreicht man sofort die Entscheidungspersonen. Durch eine gute und überzeugende Idee, aber auch durch Ehrlichkeit und manche verschickte Box an das Sekretariat, bekamen sie erste Kontakte.
Bei einem solchen Telefonat ist der Pitch, also die möglichst kurze und prägnante Vorstellung des Unternehmens oder der Idee, die dahintersteht, gar nicht so wichtig, sagt Clemens Walter.
“Was du aber gar nicht unbedingt brauchst, ist deinen Pitch zu 100% zu kennen. Ich habe vielleicht zu zwanzig Prozent gewusst, was MyCouchbox eigentlich ist. Ich habe aber die Idee und dachte mir, ich höre den Unternehmen jetzt mal zu, wieso so etwas für sie interessant sein könnte. Prompt hast du einen Experten, der mit dir deine Idee entwickelt – zugeschnitten auf sein Geschäft. Dabei kommst du zu realen Problemen, die du dir in keinem Meeting überlegen könntest. Wir haben offene Fragen gestellt und dadurch wurde sehr schnell klar, wie MyCouchbox auf der Herstellerseite am besten aussehen soll.”
Ganz wesentlich ist bei einem StartUp, die Probleme der Kunden zu finden, zu kennen und schließlich auch zu lösen. Wie könnte das besser gehen, als durch ein direktes Gespräch? MyCouchbox löst diese Probleme an zwei Enden. Für Endkunden, die möglichst einfach und günstig einkaufen möchten, sowie mit Süßwarenherstellern, die durch die Box neue Kunden erreichen können und darüber hinaus zielgruppenspezifisches Feedback erhalten.
Die ersten Versuche
Das Produkt stand bereits und die ersten drei Herstellerkooperationen waren beschlossen, fehlte noch eins: die Kunden. Bis dahin war der Plan klar, was sich danach ergab, hätten die Gründer sich selbst nicht vorstellen könnten. Sie entschieden sich, das Projekt mit einer sehr simplen Webseite und 50 Testboxen zu starten, um zu prüfen, ob die Idee auch als Geschäft funktionieren könnte und die Menschen bereit wären, das Produkt zu kaufen. Sie teilten den Launch dieser Testbox auf ihrer Facebook Seite, die zu diesem Zeitpunkt sechs “Likes” hatte, per E-mail mit Freunden und in einer großen Tauschplattform, in welcher Sarah auch privat aktiv war. Danach lief alles wie von selbst – die ersten 50 Boxen waren innerhalb von 80 Minuten verkauft – nur 10 davon gingen an Freunde. Die beiden Jungunternehmer wurden förmlich überrannt, nicht im Traum hätten sie an einen solch einschlagenden Erfolg gedacht hatten. Die Menge im Shop war auf die 50 Boxen begrenzt, wer weiß, wie viele sie sonst noch verkauft hätten.
Aus all denen, die keine Box mehr bekamen, erstellten sie eine Warteliste und hielten die Interessenten mit fast täglichen Berichten auf dem Laufenden. Die Erwartung stärkte das Engagement, diejenigen, die die erste Box erhielten, lieferten schon das erste Feedback, intern und öffentlich. Eines war von da an klar – nach dem Erfolg der Testbox, war eine erste “richtige” Box nur eine Frage der Geschwindigkeit, – schon zwei Monate später wurde diese dann versandt.
Mehr Reichweite und Kunden
Es ging schnell voran. Für Clemens Walter hat das dieses Wachstum viele Faktoren, allen voran aber einen: “100% Fokus auf die Kernkompetenz, also immer sich ins Gedächtnis zu rufen dass MyCouchbox ein Vertriebs- und Marektingunternehmen ist. Das können wir am besten. Wir sind aber kein Logistikunternehmen und auch kein IT-Unternehmen, auch wenn man gefühlt all diesen Kram mitmacht. Auch Red Bull hat nie eine Dose selber abgefüllt. Die lassen das abfüllen und konzentrieren sich immer darauf, die Marke selber voranzubringen. Das bedeutet auch, sich nicht auf fancy Gründertreffen herumzutreiben, sondern sich auf das Tagesgeschäft zu fokussieren.”
Auch Fleiß und Wille sind für ihn Faktoren, die zählen. Wer ganz vorne dabei sein und gewinnen möchte, und dadurch außerdem die Messlatte für die anderen legt, der muss etwas dafür tun. Das geht nur dann, wenn man zu 100% vom eigenen Unternehmen überzeugt ist und auch bereit ist, dafür anderes zu opfern. Manche Freunde rufen irgendwann nicht mehr an, wenn man nie Zeit hat für Spaß und Hobby. Für Veranstaltungen, ob Männertag oder Cannstatter Wasen, gibt es kaum mehr Raum. Auch auf ein Gehalt haben die Gründer in den ersten Monaten verzichtet, viel wichtiger war es ihnen, den Profit der ersten Boxen in das Wachstum des Unternehmens zu investieren. Ihren Lebensunterhalt verdienten sich die beiden Unternehmer zu dieser Zeit mit Jobs, die sie am Tag machten, nach Feierabend wurde die Energie dann in MyCouchbox gesteckt.
Das war keine einfache Zeit. Ihre Freizeit verbrachten sie gesamt damit, 200 Snack-Boxen von Hand mit Versandlabels zu bekleben oder sie schmissen Verpackungsparties bei denen der Billardtisch aus Platzmangel in die Packstrasse integriert wurde und sie Freunde einluden und für alle zusammen kochten. Diese Erfahrung, so anstrengend sie war, hat sie viel gelehrt. Da sie das packen am Anfang komplett selbst übernahmen, selbst noch bei einer Menge von 500 Boxen, wussten sie genau, welche Fehler hierbei passieren können. Das half, später die Anforderungen gegenüber den Fulfillment-Dienstleistern genau zu formulieren, Fehler zu umgehen.
Dies war nicht die einzige Herausforderung. Die Webseite war immer wieder überfordert, der Zahlungsdienstleister nicht geeignet. Seit Firmengründung ist MyCouchbox fünf mal umgezogen. In einer Lokalität nutzten sie sogar den Platz von fünf anderen StartUps und legten regelmäßig den Aufzug lahm, er war mit den Paletten voll mit Süßwaren einfach überfordert – milde gesagt. Das Wachstum überholte sie.
Sie lernten, sich kreativ zu behaupten. Als das Versandunternehmen drei Mal hintereinander die Boxen nicht abholte, brachte das Team von MyCouchbox die Pakete schließlich persönlich in der Versandfiliale vorbei – und gingen mit den Belegen von 500 einzeln gescannten Paketen wieder nach Hause. Der Dienstleister hatte den Wink verstanden.
Strategie
Auch wenn Clemens Walter selber sagt, dass sie nie eine Strategie hatten, so hatten sie Systeme und Ziele. Das Feedback der Kunden und Hersteller und die Arbeit wurde akribisch gemessen und dokumentiert. Wie reagieren die Kunden auf eine Packung Müsli? Ist das noch ein Snack? Passt das thematisch noch in die Box? Die klare Antwort der Kunden: Danke, Nein! Bei den Kooperationen mit den Herstellern steigerten sie sich auch langsam vom Kleinen ins Große. Während die ersten mit den kleineren Herstellern noch einfach herzustellen waren, weil sie relativ schnell mit den Geschäftsführern sprechen konnten, so war dies bei großen Herstellern kaum möglich. Durch die Übung der Argumentation mit den kleinen Unternehmen und Aufmerksames zuhören in Bezug auf die Bedürfnisse, konnten sie diese Erfahrung in die Verhandlungen mit den größeren Herstellern überzeugend einbringen.
“Wir sind sehr smart und demütig. Wenn uns jemand lobt, dann nehmen wir dieses Lob an, bedanken uns und fokussieren uns dann auf das, was die Leute nicht so gut finden.”
– Clemens Walter
Auch dieser Attitüde schreibt Clemens Walter zu, dass das Unternehmen ein solches Wachstum und einen solchen Erfolg hingelegt hat. Sie bezieht sich auf die Mitarbeiter wie auf die Kunden. Bei MyCouchbox gibt es keine Hierarchie, ein Praktikant trägt folglich die gleiche Verantwortung wie der Geschäftsführer – und soll diesen ausdrücklich auf seine Fehler hinweisen. Im “Weekly”, einem Wöchentlichen Meeting, besprechen sie auch ganz verrückte Ideen, wobei sie der Kreativität freien Lauf lassen. Dazu ist die Grundhaltung notwendig, dass jeder von den anderen lernen kann und ein Arbeiten auf Augenhöhe stattfindet. Wissenstransfer unter allen.
Es gab klare Ziele, oder Wünsche, wie Clemens Walter es formuliert: sie wollten den Umsatz jeden Monat um 100% steigern. Um dies zu ermöglichen musste der Vertrieb besser werden, das Marketing globaler und mehr Unterstützer gefunden werden. Dazu sprachen sie viele Blogger an, denn diese haben einen ehrlichen Ruf und bringen viel Reichweite für geringe Kosten. Dabei muss ein klarer Nutzen für die Blogger vorhanden sein. Kein Blogger gibt sich für nichts her und steht umsonst für ein Unternehmen ein. Das beworbene Produkt muss überzeugen und bei den Multiplikatoren noch genauer auf das Feedback gehört werden. Das Feedback und die Ergebnisse wurden von MyCouchbox wie immer akribisch dokumentiert.
Doch auch in der Entwicklung von MyCouchbox spielte das Glück eine große Rolle. Der Start mit den ersten Boxen war im März, wenige Monate später fand im Sommer die Fußball Weltmeisterschaft statt – was wäre besser für eine Snackbox? Sie entschieden sich, zum ersten Mal Geld für Facebook Werbung auszugeben, 1000€. Die Conversion Rate war super, trotz Streuung auf eine ungenaue Zielgruppe. Waren sie im Mai noch bei 450 Boxen gewesen, so hatten sie schon im Juni ihr eigentliches Jahresziel von 1000 Boxen übertroffen. Es wurden 1100 Boxen versandt. Die Unternehmer sind mit diesen Herausforderungen des schnellen Wachstums selber gewachsen.
Süßwaren&Snacks
Auf den ersten Blick sieht das Produkt von MyCouchbox sehr simpel aus; eine monatliche Überraschungsbox, gefüllt mit Snacks und Süßwaren. Eine einfache und profitable Idee.
Doch dahinter steckt viel mehr. Denn im Grunde ist das Unternehmen weniger ein Vertrieb von Süßigkeiten, als vielmehr eine Marketingfirma, die neue Produkte an den Mann bringt – mit Gewinn! Wo Hersteller sonst durch Verköstigungen, Marketingbudget und besonders gute Platzierungen in Supermärkten versuchen, auf ihr neues Produkt aufmerksam zu machen, zahlen die Kunden hier auch noch dafür, geworben zu werden. Zugleich sind sie Multiplikatoren, die ihren Freunden davon erzählen, dass sie gestern die neueste Sorte Chips probiert haben. Gerade für Unternehmen aus der Bio Branche, die es im generellen schwer haben, Kunden aus dem konventionellen Bereich zu erreichen, bietet diese kostengünstige Art zu werben den Anschluss an neue Zielgruppen.
Reichweite
Für die Hersteller der Süßwaren spricht also einiges dafür, ihre Waren MyCouchbox ohne Entgelt zur Verfügung zu stellen und dafür eine sehr genaue Zielgruppen und Multiplikatoren fokussierte Werbung zu bekommen. Dass die Kunden die neuen Produkte probieren, ist dabei nicht der einzige Vorteil. Mit einem Bewertungssystem, welches den Kunden nach 50 verfassten Produktbewertungen eine kostenlose Box verspricht, versucht MyCouchbox auch ein noch spezifischeres Feedback zu bekommen. Erfolgreich: 15% der Kunden bewerten die Produkte und geben den Herstellern so eine noch genauere, datenbasierte Rückmeldung. Auf diese Daten können die Hersteller Zugriff bekommen, bei entsprechender Bezahlung. Des weiteren können die Hersteller auch direkt in der Box für sich und ihre Produkte werben, zum Beispiel durch Flyer.
Social Media Dienstleistungen
Eine Reichweite von fast 25.000 Facebook Fans (Stand November 2015) und 5000 Followern auf Instagram birgt Markpotential für das Unternehmen. Kombiniert mit allen Partnerbloggern und weiteren Social Media Kanälen kommt MyCouchbox laut eigener Angabe auf eine Reichweite von 1,6 Millionen Rezipienten. Ob Branchenriesen oder kleines Familienunternehmen, haben viele Unternehmen noch wenig Erfahrung mit der Internetvermarktung und Social Media. Hier bietet diese Reichweite einen guten Einstieg, mit Gewinnspielen oder ähnlichen Aktionen die über die MyCouchbox Facebook Seite veranstaltet werden, können neue Fans für die Partner geworben werden. Die Erfahrung zeigt, dass fast alle “Likes”, die über solche Aktionen generiert werden, dauerhaft bleiben – weil es keine Fake-Profile sind, sondern Menschen, die sich von vorneherein schön für das Thema Snacks & Süßwaren interessieren.
MyCouchbox sieht sich daher als kostengünstige Art zu werben. Bei einem Live-Sampling würden die Hersteller die gleiche Menge an Proben kostenlos verteilen, dabei jedoch zusätzlich hohe Lohn- und Agenturkosten haben. MyCouchbox liefert direkt an die Zielgruppe und lässt sich durch die Proben “bezahlen”. Wie MyCouchbox sich weiterentwickelt, wird sich zeigen. So wird sich das Unternehmen bei einer weiteren Entwicklung wohl von den kleinen Marken entfernen, für die 10.000 Proben dann doch eine signifikante Menge sind, für die großen Player bleibt es ein Schnäppchen. Um sich noch stärker als “Online”-Unternehmen zu positionieren und von den Entwicklungen zu profitieren, steht auch ein Affiliate Marketing System am Horizont.
Marktforschung
Die erste Idee war recht einfach: ein Produkt, welches jeden Monat gebraucht wird. Zusatzleistungen wie die Marktforschung oder Flyerwerbung waren nicht von Anfang an so eingeplant. Erst später zeigte sich, dass sich der Umsatz durch den Verkauf von Social Media Dienstleistungen und den Daten der Marktforschung diversifizieren und die Marke attraktiver machen ließ, für die Kunden wie auch für Hersteller. Das Feedback ist auch für sie selbst wichtig:
“Wir wissen mehr und mehr, was die Kunden mit MyCouchbox verbinden. Wir müssen aber auch jeden Monat schauen, dass unsere Box gut wird. Wir hatten Monate, wo unsere Boxen phänomenal waren, aber wir hatten jetzt auch Monate in denen die Kunden gesagt haben, dass es ihnen nicht so gut gefallen hat. Die Kunden sagen uns, welche Produkte wir für die nächsten Boxen akquirieren sollen”.
Auch diese Flexibilität wird schwierig beizubehalten, wenn das Unternehmen weiter wächst. Denn die Hersteller planen weit im Voraus und wissen jetzt schon, welche Produkte sie nächsten September bewerben möchten. Der Inhalt der MyCouchbox ist demnach schon für die nächsten 18 Monate fertig geplant. Keine einfach Balance und ein Zeichen, dass das Unternehmen aus der ersten Phase heraus ist.
Starting Lean
Das Grundprinzip von Lean Startup ist, dass jede Idee für die Unternehmensgründung als unbewiesene Hypothese betrachtet werden muss, die erst als sicher gilt, wenn sie empirisch validiert worden ist. Hypothesen, die widerlegt wurden, müssen durch neue ersetzt werden. […]
Auf die Erstellung aufwändiger Geschäftspläne (Businesspläne) wird dabei meist verzichtet. Stattdessen werden möglichen Geschäftspartnern wie Geldgebern und Kunden Prototypen vorgestellt, die schrittweise zu einem marktfähigen Endprodukt führen. Diese Methode wird im 21. Jahrhundert auch von großen Konzernen immer häufiger angewandt.
Als Hauptvorteil des Lean Startup wird von Befürwortern dieses Ansatzes hervorgehoben, dass das Unternehmen den Fehler vermeidet, ein Produkt zu entwickeln und zu vermarkten, das am Markt keinen Absatz findet. Dies war eine häufige Ursache für das Scheitern von Startups.
(Quelle: Wikipedia)
Für Clemens Walter ist das Konzept “Lean StartUp” nicht an den Begriff “StartUp” gekoppelt. Es bezeichnet für ihn nichts weiter, als das Arbeiten in kleinen Einheiten, um sofort auf Zahlen zu kommen, die einem genauere Einblicke verschaffen. Anhand dieser Einblicke, die jeweils auf einzelne Bereiche spezialisiert sind, kann man sehr genau herausfinden, was benötigt wird, ob von Kunden oder in der Produktion. Es ist für ihn vor allem die Tatsache, auf Feedback genau zu achten und die Wertung nicht auf den größeren Einfluss eines Abteilungsleiters zu legen, der jedoch kaum mehr etwas mit der praktischen Arbeit in der Produktion oder im Vertrieb zu tun hat. Auch das Feedback permanent auszuwerten und neues auszuprobieren, um zu validieren, dass die momentan verwendete Methode auch wirklich die beste ist – und nicht nur die, von der man glaubt, dass es die beste ist. Vertrieb ist für ihn permanentes Training und nichts, bei dem man jemals ausgelernt hat. “Lean” bedeutet für ihn auch, sich auf das Kerngeschäft zu fokussieren und nicht, neue Produkte auf den Markt zu werfen, von denen man glaubt, dass der Kunde sie möchte. Jeder Tag wird hier neu angeschaut und geplant, im Rahmen der übergeordneten Wachstumsziele. Für ihn bedeutet LeanStartUp, große Unternehmungen in kleinen Schritten zu planen.
Wir sind immer ganz am Anfang
Ein weiterer Spruch in der Lean-Startup Szene ist “work smarter not harder”. Bodenständig und demütig sind die Worte, die Clemens Walter dazu als erstes einfallen. Für ihn ist MyCouchbox ein soziales Unternehmen, was er auch so leben möchte. Für ihn gibt es immer jemanden, der die Dinge besser weiß als er, ganz egal, wo das Unternehmen MyCouchbox hingehen wird. Das freundschaftliche Verhältnis im Team geht für ihn über das Arbeitsleben hinaus und er weiß, dass es wichtig ist, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass es eine gemeinsame Vision braucht, um etwas erreichen zu können, für ihn und seine Kollegen. Vorbilder auf seinem Weg als Unternehmer sind dabei Götz Werner wie auch der Dalai Lama. Auf seinem Weg sieht er sich selbst immer ganz am Anfang.
Companisto und Kapital
Bisher komplett aus Eigenmitteln finanziert, stellten sich durch das schnelle Wachstum viele Herausforderungen, die aus fremdem Kapital leichter zu finanzieren sind. Durch eine erfolgreiche Crowdinvest Kampagne auf Companisto sammelten sie in weniger als fünf Wochen 300.000 €, ihren gewünschten Maximalbetrag. Die Entscheidung, kein Darlehen aufzunehmen und stattdessen Unternehmensanteile abzutreten, fußte auch auf dem zu erwartenden Marketingeffekt und der Beratung und Reichweite der Investoren. Die Crowd ist ja nicht nur Geldgeber für das Unternehmen, sondern auch eventueller Kunde und starker Multiplikator, durch ein erweitertes Interesse als Anteilseigner.
Die Summe wird vor allem in neues Personal im Marketing investiert und da die Maximalsumme erreicht wurde und die Möglichkeiten dadurch größer, werden auch die Bereiche Marktforschung, Vertrieb, Logistik und Kundenservice weiter ausgebaut.
Zukunftspläne
Die Zukunftspläne sind groß; MyCouchbox soll in mehreren Ländern verfügbar sein, als Marke etablierter und präsenter, mehr Kunden, neue Zielgruppen und sich als Plattform für Online Marketing im Bereich Snacks & Süßwaren etablieren. Dabei fehlt laut Gründer Clemens Walter vor allem eines: mehr gute Mitarbeiter, die an die Vision glauben und die sich mit guten Ideen einbringen und das Unternehmen nicht nur als Shop verstehen, sondern auch als Bewegung, die mehr möchte, als nur Snacks versenden. Die Lieferung am selben Tag, also wirklich an die Couch, während der Kunde auf der Couch sitzt, ist eine der Ideen, an denen sie arbeiten.
Tipps für Gründer
Zu der Frage, welche Tipps er für Gründer hat, könnte Clemens Walter noch einmal weitere 45 Minuten reden. Er hält sich kurz, aber ich merke, wie hier sein Potential und seine Erfahrung anfängt, Tiefe zu zeigen. Seine persönlichen sieben Tipps für Gründer sind:
- Schreibe dir ganz genau auf, warum du Gründer werden möchtest. Gründer sein ist eine ganz andere Sache, als ein Angestellter zu sein, der am Wochenende nach Hause geht, und alle Sorgen in der Firma lässt. Frage dich ganz genau “Warum will ich Gründer werden?” und “Warum sehe ich mich selber als Gründer?” – dabei sollte reich werden nicht darin stehen. Wer reich werden möchte, sollte lieber eine geile Karriere bei einem großen Konzern hinlegen, aber nicht gründen.
- Eine grobe Vision solltest du haben. Die muss nicht fix sein und darf sich auch ändern, aber einen inneren Plan, wo du in drei Jahren stehen möchtest, dann daran orientiert sich die tägliche Arbeit.
- Mach jede Menge Sport, denn sonst kommst du in ein Hamsterrad, in welchem du im Ungleichgewicht bist. Den ganzen Tag nur vorm PC ist einfach ungesund, nicht nur für den Körper.
- Viel lesen! Einfach das, was wirklich gut ist. Fachbücher, aber auch Biographien und Werke von einflussreichen Menschen, wie zum Beispiel dem Dalai Lama.
- Hinterfrage deine Rolle als Unternehmer und als Mensch. Was tue ich und warum tue ich es?
- Idee grob skizzieren – und dann machen, am besten heute noch! Du kannst dir alles Mögliche ausdenken, sicher weißt du es nur, wenn du es tust.
- Schön den Fokus bewahren. Kein Facebook, keine Gründerevents. Arbeiten, arbeiten, arbeiten.
Ich bedanke mich für das Interview!
Hier geht es zur MyCouchbox Webseite.
PS: weitere interessante Artikel und Reportagen von mir gibt es momentan auf www.yes-we-can.farm!
Du möchtest mehr lesen? Hier geht’s zum Index mit 200+ Geschäftsideen!
28. Juli 2016 at 19:33
Sehr schön! Als Selbständiger liest man so etwas gerne.
Aber:
„Eine Reichweite von fast 25.000 Facebook Fans (Stand November 2016)“
???
Lebt Ihr in der Zukunft? 🙂
31. Juli 2016 at 14:49
Irgendwann wird man wirklich betriebsblind – ist geändert 😉
6. Oktober 2016 at 16:12
Hallo Malchus,
toller Artikel über ein spannendes Startup – hat mir sehr gefallen!!!
Ich muss gestehen, dass ich – wenn mir jemand nur von der Anfangs-Geschäftsidee erzählt hätte – mit meiner Vorhersage völlig daneben gelegen hätte. Gut dass Geschmäcker und Vorlieben so verschieden sind 🙂
Jetzt schaue ich mir mal weitere Artikel von Dir an und empfehle diesen hier gerne weiter an meine Gründer-Kollegen aus dem social impact lab in Duisburg (für Dich sicher auch ein spannendes Thema).
Herzliche Grüße aus Düsseldorf,
Ulrike